Wenn ich darüber nachdenke, mit welchem interkulturellen Thema ich im Laufe der Jahre am meisten Zeit mit unseren Kunden verbracht habe, ist die Antwort ganz klar: Es ging und geht immer wieder um genau diese Frage: „Duzen oder Siezen“?

Das Phänomen der formellen oder informellen Anrede ist eigentlich keine deutsche Spezialität. Die romanischen Sprachen kennen es ebenso wie die slawischen Sprachen. In Europa bildet nur das Englische eine Ausnahme: „You is you“ – Punkt. Deshalb ist dieses Problem für englischsprachige Kunden von besonderem Interesse.

Und deshalb fragen vor allem englischsprachige Kunden immer wieder, wie sie damit umgehen sollen.

Eine kulturelle Besonderheit ist allerdings, wie die Deutschen mit diesem Problem umgehen bzw. umgegangen sind.

Ein Beispiel: Ende des letzten Jahrtausends wurde der Vorstandsvorsitzende eines der wichtigsten deutschen Konzerne in einem englischen Wirtschaftsmagazin so zitiert:

„Selbst unter uns sprechen wir uns nicht mit dem Vornamen an.“

Er sprach über die Kommunikationskultur innerhalb des Vorstands.

Wenig später traf ich ein britisches Vorstandsmitglied dieses Unternehmens in der Konzernzentrale zum Mittagessen. John war zuvor bei uns zu einem intensiven Deutsch-Einzelkurs gewesen.

Ich erzählte John von diesem Gespräch und provozierte ein wenig:

„Komm schon, John, ich glaube es nicht. Dein CEO muss einen Scherz gemacht haben.“

Johns Antwort:

„Ob du es glaubst oder nicht – es ist so. Bei Vorstandssitzungen geht es genau so zu: Herr X, Doktor Y, Graf Z“. Wenn wir uns später auf ein Glas Wein treffen, dann kann es passieren, dass mich ein Kollege mit ‚John‘ anspricht, aber nur, wenn wir Englisch sprechen.“

Für John und mich war das ‚du‘ ganz selbstverständlich, obwohl wir nur ein paar Stunden Deutschunterricht miteinander verbracht haben.

Für Johns deutsche Vorstandskollegen hingegen war das ‚du‘ unvorstellbar, obwohl sie sich zum Teil schon seit 20 Jahren kannten.

Wie soll man da die deutsche Kultur verstehen?

Die – meiner Meinung nach – gute Nachricht zum Schluss: Auch in diesem Unternehmen reden sich die Topmanager inzwischen mit Vornamen an. Und wenn Deutsch gesprochen wird, darf auch das früher unvorstellbare informelle ‚du‘ verwendet werden.

Deutschland bewegt sich – wenn auch eher langsam. 

Und sollten auch Sie die eine oder andere kulturelle Frage zu ‚Deutschland und den Deutschen‘ haben – wir beraten Sie gern und kompetent:

Culture Management